Der berechnende (Nicht-)Wähler

Nach jeder Abstimmung oder Wahl wird – egal wie das Ergebnis lautet – über die niedrige Beteiligung gejammert. Bei der letzten Nationalratswahl (2011) lag die Wahlbeteiligung bei 48,5 %. Bei den Abstimmungen sieht es nicht anders aus, die niedrigste Stimmbeteiligung gab es 1991 mit durchschnittlich 32,3 %, die höchste im Jahr 2005 mit durchschnittlich 51,2 %. In der Schweiz wird die niedrige Wahlbeteiligung mit dem Argument, dass das Volk „eben oft“ abstimmen kann, schöngeredet. Doch die Statistik spricht nicht für dieses Argument. 1991, im Jahr mit der durchschnittlich niedrigsten Wahlbeteiligung (32,3 %), kamen lediglich vier Vorlagen vor das Volk. 2013 konnte das Volk über elf Vorlagen abstimmen und die Stimmbeteiligung lag bei 46,6 %. Was ist also der Grund für die niedrige Stimmbeteiligung?

Doch nicht nur die Schweiz ist von diesem Phänomen betroffen, auch in anderen europäischen Ländern ist die Wahlbeteiligung im Sinkflug. Warum dies so ist, geht auch Jérémie Gagné nach, der dieses Symptom am Beispiel Deutschlands zu erklären versucht. Er schreibt, dass es die wirtschaftlich Schwächsten sind, die sich immer stärker von der Politik entfremden und zu Nichtwählern werden. Arme Bevölkerungsteile mit niedriger Wahlbeteiligung gab es zwar schon früher. Doch sie waren kleiner, genauso wie die Ungleichheit insgesamt. Jérémie Gagnés Fazit lautet: „Wählen ist Teamsport!“. Das bedeutet, Menschen müssen zusammenkommen, sich austauschen und einander zur Teilnahme antreiben. Auch wenn Gagné es nicht ausspricht, aber es handelt sich hier um einen Appell an den Haustürwahlkampf und politische Arbeit vor Ort: Parteien müssen wieder näher mit der Bevölkerung arbeiten, damit die Entfremdung überwunden werden kann. Denn wenn sich Menschen im Politischen wieder daheim fühlen, können sie auch ihre persönlichen und rationalen Präferenzen wieder einbringen.

 

Mehr zur Stimmbeteiligung in der Schweiz finden Sie hier (Abstimmungen) und hier (Wahlen).

Den ausführlichen Artikel von Jérémie Gagné über „Die Mär vom berechnenden (Nicht-)Wähler“ finden Sie hier.