Der Aufruf zur Wahl – per Video

Sinkende Wahlbeteiligung, zunehmendes Desinteresse an Politik. Von unterschiedlichsten Seiten wird zur Wahl aufgerufen. Ein Streifzug.

Die Bundestagswahlen in Deutschland und Österreich sind vorbei und es ist Zeit, eine Nachlese zu betreiben. Über die Gewinner und Verlierer der Wahlen ist allseits viel geschrieben worden. Doch wie steht es um die Demokratie im Allgemeinen? Der aussagekräftigste Kennwert zu diesem Thema ist traditionell die Wahlbeteiligung.
Doch wollen wir uns diesem Wert nicht nur von einer statistischen Seite aus nähern, denn so wie um Parteienzustimmung Wahlkampf gemacht wird, so gibt es ebenfalls Werbung, um die Menschen überhaupt an die Urne zu bringen.

Wie steht es um die Beteiligung?

In Österreich (und übrigens auch in der Schweiz) hat sich die Wahlbeteiligung seit 1945 nach unten entwickelt. Besonders seit der Abschaffung der Wahlpflicht zu Anfang der 90er-Jahre ist ein markanter Einbruch zu erkennen. Der Prozentsatz der wählenden Wahlberechtigten hat in diesem Jahr mit 74,42% seinen tiefsten Stand erreicht.
In Deutschland ist die Lage kaum anders. Die Bundestagswahl 2013 schaffte mit 71,5% den zweitniedrigsten Wert seit der Staatsgründung. Nur 2009 gingen noch weniger Menschen zur Wahl. Der Höhepunkt dieses Wertes wurde 1972 mit 91,1% erreicht. In einer Zeit also, die von grossen und spannenden politischen Konflikten geprägt war.

Wahl Werbung – Werbung für die Wahl

Auch wenn das Gesetz in beiden Bundesrepubliken keine Mindestwahlbeteiligung vorsieht und selbst eine einzige abgegebene Stimme de jure eine gültige Wahl darstellen könnte, ist eine hohe Wahlbeteiligung ein Zeichen für eine gesunde Demokratie – sie verleiht den Volksvertretern Legitimität. Um also mehr Menschen zu ihrem Kreuz zu bewegen, werden von verschiedenen Seiten Versuche unternommen, die Nichtwähler zu überzeugen. Da die Wahlbeteiligung in allen Bevölkerungsschichten niedrig ist, nehmen die Wahlaufrufe verschiedenste Formen an, die wir hier anhand von einigen Beispielen aus drei Themenbereichen analysieren wollen.

Die staatstragende Form

Es gehört zu den vornehmsten Pflichten eines Staatsoberhauptes, anzumahnen. Und anlässlich der wichtigsten Wahl eines Landes lassen die Herren es sich nicht nehmen, den Bürger zur Beteiligung an der Demokratie anzuhalten.
Das Video „Nutzen Sie Ihr Wahlrecht“ (1:39 Min) des österreichischen Bundespräsidenten Heinz Fischer eröffnet mit einer Montage vergangener Koalitionsschlüsse (32 Sek). Danach spricht er in rotgoldenem Ambiente zum Volk: Die „Chance mitzuentscheinden“ solle genutzt werden. „Schwer genug“ sei sie erkämpft worden und die Beteiligung an der Wahl erhalte die Demokratie.

Der Film aus Deutschland trägt den Titel „Warum soll man wählen, Herr Bundespräsident?“ (2:48 Min) und beginnt nach einer kurzen Aussenansicht des Schlosses Bellevue (5 Sek). Joachim Gauck wendet sich direkter an die Bürger. Er spricht vom Traum der Demokratie und von der Freiheit, auf das Wahlrecht zu verzichten. Doch „was wir aktiv beitragen, wird zum Programm, was wir passiv hinnehmen ebenso“. Er warnt vor Beliebigkeit und Verdruss und verweist auf Alltagssituationen, in denen der Bürger Entscheidungen trifft. Gauck setzt dem „Verdruss“ die „vitale“ Demokratie entgegen, die „das Kostbarste schützt, was wir haben: selbstbestimmt und eigenverantwortlich unser Leben, unsere Zukunft zu gestalten“.

Allein an der Länge der Videos und der Ansprachen lässt sich erkennen, wie viel Gewicht die jeweiligen Redner dieser Aufforderung geben. Gauck spricht mehr als doppelt so lang wie Fischer und wirkt deutlich engagierter. Dies lässt sich wohl am besten durch seine Biografie erklären, die stark mit der Demokratiebewegung der späten DDR zusammenhängt. Fischer dagegen lebte, abgesehen von den ersten sieben Jahren seines Lebens, stets in einer Demokratie. Insofern sind beide Präsidenten wohl repräsentativ für die Geschichte ihrer Nationen. In Deutschland legt man offenbar, auch von offizieller Stelle, deutlich mehr Wert auf die direkte Aktivierung der Wähler und verzichtet auf Schreckenszenarien, die durch die Geschichte noch deutlich in Erinnerung sind.

Der Promi-Faktor

Junge und politisch uninteressierte Menschen an die Urne zu bewegen, ist für Politiker selbstverständlich kaum möglich. Viel mehr Popularität und Glaubwürdigkeit besitzen in dieser Gruppe die Stars und Sternchen der Promiwelt. Wenn sie ihre Vorbildfunktion ernst nehmen, ist nicht nur Engagement für wohltätige Zwecke, sondern eben auch der Wahlaufruf teil ihres Jobs.

Vorarlberger Promis:

Heino rockt die Wahl:

So bringt das österreichische Magazin biber Fussballer Marko Arnautovic, Musiker Nazar und Thaibox-Weltmeister Fadi Merza dazu, ihre Fans öffentlich zur Wahl aufzurufen. Auch so einige Vorarlberger Promis beteiligen sich in seriösem Ton.

In Deutschland motivierte nicht nur die Bundeszentrale für politische Bildung 140 Promis zum Wahlaufruf via Radio und Video. Auch private Medien wie der TV-Sender ProSieben konnte die Prominenz für die Kampagne „Geh wählen!“ gewinnen. Neben erfolgreichen Menschen aus der Unterhaltungsbranche ist hier bemerkenswerterweise auch der ehemalige CSU-Politiker Edmund Stoiber mit einem durchaus selbstironischen Video dabei. Und selbst der deutsche Bundestag versuchte, sich „hip“ zu zeigen, indem er die Bürger aufrief, selbst zur Wahl aufzurufen: Der Wettbewerb „Du bist die Wahl!“ veröffentlichte selbst gedrehte Videos von jedermann.
Wieder fällt auf, wie gross Engagement deutscher Institutionen und Promis für dieses Thema zu sein scheint. Obwohl es auch österreichische Beiträge zu dem Thema gibt,   sind die deutschen Kampagnen deutlich aufwendiger gestaltet und ziehen mehr Unterstützer an. Sich für die Wahl und mithin die „Sache der Demokratie“ einzusetzen, scheint dort chic. Offensichtlich ist es in Deutschland möglich, in dieser Frage nicht nur die Wahl, sondern auch sich selbst zu bewerben. Während die Beiträge der österreichischen Prominenten eher auf die „Pflicht des Bürgers“ zielen, scheinen sie beim grossen Nachbarn eher eine Art „Spassdemokratie“ zu vermitteln. Allerdings, daran sei noch einmal erinnert, mit dem Erfolg der beinahe identisch schlechten Wahlbeteiligung beiderseits der Grenze.

Mit Lachen aus dem Alltag auf den Stimmzettel

Auch wenn in beiden Ländern mit Personen des öffentlichen Interesses geworben wurde, wirklich erfolgreich war keine der Kampagnen. Die Wahlbeteiligung verharrt, wo sie war, ästhetische Höhenflüge sind nicht zu verzeichnen und auch eine virale Verbreitung blieb aus. Dennoch gab es einige sehr gelungene Aktionen, von denen wir noch zwei vorstellen möchten.
Österreichs grösste regionale Tageszeitung, die Kleine Zeitung, holte die Wähler in ihrem Alltag ab. Im Stil der „Versteckten Kamera“ wurde Menschen in öffentlichen Restaurants vorgesetzt, was sie nicht bestellt hatten. Die verblüffende Dreistigkeit der Aktion sowie die fassungslose Reaktion der „Opfer“ bieten nicht nur grossen Unterhaltungswert. Symbolik und Aussage sind stark und treffen voll ins Schwarze. Der Standard und Horizont berichteten und Facebook wie auch Twitter verbreiteten den durchdachten Scherz in Windeseile. Eine gelungene Werbung für Demokratie und Produzenten des Clips!

Auch die grösste deutsche Gewerkschaft IG Metall liess sich von zahlreichen YouTube-Erfolgen inspirieren und schuf mit ihrem Video, eine Kollage aus lustigen, bekannten und seltsamen Filmschnipseln, eine gelungene und unterhaltsame Erzählung. Zahlreiche Referenzen auf Pop-, TV- und Internetkultur sollten vor allem die Jungwähler aktivieren. Der Clip verbreitete sich rasend in den sozialen Netzwerken und wurde auch in etablierten Medien wie Stern, Welt, Spiegel und Bild besprochen. Die Resonanz war gigantisch und das Filmchen ein voller Erfolg. Gerade weil die Produzenten sich mit der Verwendung von teils urheberrechtlich geschütztem Material in eine juristische Grauzone begeben haben, traf der Clip den Nerv des jungen, internetaffinen Publikums. Die Copy-Paste-Kultur hat also die Politik erreicht. Die Folge ist nicht nur eine gelungene Kampagne, sondern auch, dass die Originaldatei, wohl aus rechtlichen Gründen, nicht mehr verfügbar ist.

Nach der Wahl ist vor der Wahl

Nachdem man sich also in beiden Ländern, von allen Seiten und auf allen gesellschaftlichen Ebenen, so viel Mühe gegeben hat, ist das Ergebnis dennoch mager: Eine historisch niedrige Wahlbeteiligung und lediglich zwei Projekte, die wenigstens Einzelerfolge erzielen konnten.
Der Lerneffekt wird wohl nicht ausbleiben, wenigstens was die Gestaltung der Kampagnen anbelangt: Die Ästhetik wird sich wohl wie die Verbreitungswege dem Internetzeitalter anpassen und zudem noch mehr auf Unterhaltung setzen. Dies scheint mittelfristig der einzig gangbare Weg zu sein, die zunehmend politisch uninteressierte Jugend an die Urne zu bewegen. Denn diese Jugend ist es, die nicht nur die niedrigste Wahlbeteiligung aufweist, sondern auch in Zukunft für die Demokratie verantwortlich sein wird.
Allerdings sollte man bei all dem ehrenwerten Engagement für die Demokratie eines nicht vergessen: Ganz gleich wie lustig, berührend oder erfolgreich Wahlaufrufe sind, langfristig können nur politische Inhalte, die die Lebenswelt der Bürger berühren, politischen Einsatz provozieren. Volksnahe und menschliche Politiker, aktuelle Themen und erkennbare Positionen sind schon immer das gewesen, was die Demokratie im Innersten zusammenhält.